Kommentar - Von Rainer Beutel Ohne Parteiprinzipen bessere Nauheimer Verhältnisse erreichen
Bürgermeister Roland Kappes, ohne Parteiprinzipien.
16.6.24 - Vielleicht sollten die "ungewöhnlichsten Haushaltsberatungen" der vergangenen 42 Jahre (so lang zurück kann und darf ich das als Journalist, der über Nauheim berichtet, beurteilen) aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet werden. Also keineswegs die übliche, frustrierende Perspektive, die etwa so formuliert werden kann: Hätte Nauheim einen Bürgermeister, der sich mit Haushaltsrecht auskennt oder dies, bitte schön, binnen seiner ersten elf Monate im Amt brav gelernt hätte, dann, ja dann wäre alles besser. Mag sein, dass der amtierende Verwaltungschef bei den jüngsten Etatdebatten keine Glanznummer hingelegt hat. Er hat allerdings nie behauptet, dass er sich in der Materie auskenne. Und nie hatte Bürgermeister Roland Kappes zugesagt, dass er dies alles zu lernen beabsichtige. Es gibt im Rathaus Verwaltungsmitarbeiter, die entsprechend ausgebildet sind. Und mehrere Gemeindevertreter haben es betont: Der Verwaltung sei zu danken für all die Mühen für den Haushalt 2024. Chance erkennen statt 08/15-Urteil fällen Die Meinung, ihr Chef habe seinen Job nicht ordentlich gemacht, mag äußern, wer will. Diese Sichtweise greift indes zu kurz. Es ist ein politisches Null-acht-Fünfzehn-Urteil, wie es in solchen Fällen stets gefällt wird. Es entstammt der Tradition. Immer hat alles so wie gewohnt zu laufen. Und dann wird hoffentlich auch alles gut. - Oder eben nicht. Doch gerade Kappes' Unkenntnis in Sachen Haushaltsrecht entfaltet eine außergewöhnliche Konsequenz - eine Chance, die es jetzt zu erkennen und zu ergreifen gilt. Seit den 1980-er Jahren hat Nauheim diesen Effekt nicht mehr erlebt. Zuvor, in der ersten Amtsperiode unter Bürgermeister Rudolf Zaich (1975-1993), gab es in einer Phase vollkommener Zerfahrenheit ein legendäres 17-Punkte-Programm. Dabei handelte es sich um eine voranbringende und erfolgreiche Geschäftsgrundlage für das politische Handeln der nächsten Jahre. Darauf hatte sich eine weise Gemeindevertretung geeinigt. Später, in Zaichs zweiter und dritter Amtsperiode, ebenso unter Fischer senior (1993-2005), Ingo Waltz (2005-2011) und Fischer junior (2011-2023) ist es selten gelungen, dass Nauheimer Parteien an einem Strang den Karren aus dem Dreck gezerrt haben. Vom Ostumgehungsstreit über den Klärbeitrag bis zur Sportparkneugestaltung. So viele Partei-Kontroversen Was hat Nauheim nicht schon alles hinter sich, als es immer und immer wieder politisch, sprich: kontrovers zuging. Sogar, als an der Rathausspitze geballte Kompetenz wirkte und die jeweiligen Bürgermeister trotzdem für ihr Zahlenwerk auseinandergenommen wurden.
Nauheim war mehr als 40 Jahre lang eine Kommune, in der die politisch Verantwortlichen aufeinander eindroschen, als gäbe es keinen Stammtisch mehr. Und das, obwohl der vielsagende Begriff von den "Nauheimer Verhältnissen" noch älter ist. Er stammt aus der Mitte der 1970-er Jahre. Damals wählte die SPD mal flugs ihren eigenen Bürgermeister ab. Stets entzündeten sich an den Kommunalfinanzen neue Konflikte. Oft rein aus parteipolitischer Sicht. Regelmäßig standen Gemeindeoberhäupter im Fokus dieser Auseinandersetzungen. Notfall? Zufall? Auf jeden Fall konstruktiv! Jetzt könnte eine neue Sicht- und Vorgehensweise helfen. Die Gemeindevertretung hat – notgedrungen oder zufällig – den Beweis geliefert, dass es politisch gemeinsam funktionieren kann. Das, genau das, ist der Erfolg der zurückliegenden Tage. Mit einem Hauch von Selbsterkenntnis war in der Gemeindevertretung die Rede von den "konstruktivsten und intensivsten Haushaltsberatungen der vergangenen zehn Jahre". Gleich darauf folgte die übliche Schelte. In der Schusslinie, wie früher üblich: der Bürgermeister. Vielleicht geht es auch mal konstruktiv und miteinander. Das ist die noch nicht wirklich im politischen Bewusstsein verinnerlichte Chance, die sich Nauheim derzeit bietet. Die Botschaft kommt offenbar völlig überraschend. Bei den nächsten Haushaltsberatungen, die genau genommen schon jetzt beginnen müssten, sollte diese neue Ausrichtung zielführend und prägend sein. Vorurteilsfreie Erkenntnis Es geht "um das Wohl der Gemeinde und nicht um Parteiprinzipien". Das schrieb ausgerechnet die jüngste Parlamentarierin - Miriam Bach von der SPD, vorurteilsfrei und unbelastet von altem Parteiengezänk - der Gemeindevertretung keck ins Stammbuch. Ja, es ist nicht die Aufgabe des Parlaments, den Haushalt aufzustellen. Der Kämmerer, gemeinhin der Bürgermeister, muss ran. Mit ihm seine Mitarbeiter in der Finanzverwaltung im Zusammenwirken mit dem Kollegialorgan Gemeindevorstand. Nichts anderes ist doch geschehen. Zwar wurden von einzelnen Dienststellen außerordentlich viel Mittel angemeldet. Doch die fatale Konsequenz, dass deshalb die Bürger wegen einer höheren Grundsteuer leiden/blechen/lamentieren müssen, weil unnötig hohe Standards aufrechterhalten werden, hat die Politik gemeinsam erfolgreich abgewendet. Bingo, geht doch. Fakt ist: Es ist Aufgabe der Gemeindevertretung, Verwaltungshandeln zu kontrollieren und bei Bedarf zu korrigieren. So sollte es laufen. So ist es gelaufen. Das war mühsam und zeitaufwändig. Aber das ist der Job. Der ist zugegebenermaßen viel schwieriger geworden. Aber doch nur, weil auf dem Chefsessel kein Bürgermeister mehr sitzt, der sich von A bis Z auskennt und lenkt. Die Wähler wollten es so. Sich von alten Mustern lösen Im Vertrauen auf fähige Verwaltungsmitarbeiter, die beim Haushalt 2025 nicht in den gleichen Wünsch-Dir-Was-Strudel geraten sollten, wird das Ortsparlament damit leben oder Konsequenzen ziehen müssen. Und die fielen dann, wen wundert's, politisch aus. Wie etwa ein Abwahlantrag. Darüber wird hinter vorgehaltener Hand schon gesprochen. Öffentlich aussprechen will das (noch) keiner. Ergo: Nach diesen "ungewöhnlichsten Haushaltsberatungen" sollte die Chance erkannt und genutzt werden, die Nauheimer Verhältnisse in ein besseres Licht zu rücken, als es politische Richter gewöhnt sind. Der parteilose Bürgermeister wird sich dagegen kaum wehren. Vielmehr könnten Roland Kappes und seine vielen Wähler überzeugt werden, dass politische Prozesse per se nichts Falsches sind. Wenn sie denn konstruktiv und nicht von Parteiprinzipen geprägt sind. |
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