BM-Wahl '23 - Kommentar & Analyse

Das Experiment ist eine Herausforderung für alle - Halb Nauheim hat nicht gewählt

Noch-Amtschef Jan Fischer (M.) geht, Roland Kappes (l.) kommt und Rosalia Radosti (r.) steht dem künftigen Bürgermeister von Nauheim als Stellvertreterin erklärtermaßen zur Seite.

 

Von Rainer Beutel

20.3.23 - Nauheim hat Roland Kappes zum neuen Bürgermeister gewählt. Anfang Juli wird erstmals ein Parteiunabhängiger den Chefsessel im Rathaus besetzen. Das ist eine große Herausforderung – für den künftigen Verwaltungschef, für etablierte Politiker und ihre Fraktionen und, nicht zu vergessen, für alle Bürgerinnen und Bürger.

Dass der Schritt vom Handwerksmeister zum Bürgermeister für den mit großem Abstand Gewählten eine immense Prüfung sein wird, weiß Roland Kappes. Er hat einen neuen und anderen Stil versprochen. Vor allem im Umgang einer Behörde mit Menschen und in der Art, wie Probleme gelöst werden. Jetzt kann, nein jetzt muss er liefern und Wort halten.

Die Herausforderung für CDU, SPD, Grüne und FDP ist anders gelagert. Sie sind aufgerufen, das Signal der Wahlbevölkerung zu respektieren und ihre Lehren zu ziehen. An erster Stelle ist zu klären, warum es drei Parteienvertretern nicht gelungen ist, auch nur ansatzweise so viele Wähler für sich zu begeistern wie Roland Kappes.

Eine konstruktive, offene und ehrliche Antwort könnte so beginnen: „Weil wir in der Vergangenheit eine ganze Menge falsch gemacht haben, zum Beispiel … .“

Von wegen "Dem zeigen wir es"

Die zweite Aufgabe der Alteingesessenen hängt mit ihrem Demokratieverständnis zusammen. Jetzt können, nein müssen sie beweisen, dass sie das Votum der Bevölkerung respektieren. Wer sich jetzt in die kommunalpolitische Schmollecke begibt und rummotzt nach dem Motto „Dem zeigen wir es“, sollte sich aus dem Ortsparlament schleunigst verabschieden.

Nauheim hat eine Chance für einen experimentellen Neuanfang. Das Ergebnis dieser Herausforderung ist offen. Es ist dem neuen Bürgermeister zu wünschen, dass sich die 31 Gemeindevertreter an dem Vorbild der Ersten Beigeordneten und Kontrahentin von Kappes in der Stichwahl orientieren: Rosalia Radosti (SPD) strebt eine konstruktive Zusammenarbeit mit Kappes an. Das hat sie, trotz der Enttäuschung wenige Minuten zuvor, am Wahlabend mit Größe und glaubhaft versichert.

Sie ist und bleibt die stellvertretende Bürgermeisterin und kann Kappes dort unterstützen, wo er vielleicht schwächelt. Möglicherweise bilden die beiden im Gemeindevorstand ein gutes Team. Er versteht es, an- und zuzupacken. Und sie kann Verwaltung.

Es wäre fatal für Nauheim, wenn die Gemeindevertretung den Neuen auch nur ansatzweise bockig blockieren würde, nur weil es die politische Parlamentsmehrheit kann.

Halb Nauheim wählt nicht

Der dritten „Challenge“, wie es neudeutsch heißt, müssen sich nicht nur alle stellen, die Kappes gewählt haben. Das waren 2527 Frauen und Männer. Sondern auch viele von denen, die nicht zur Wahl gegangen sind, nämlich die überragende Mehrheit, exakt 4123 Personen. Fast die Hälfte der Nauheimer gehört demnach zu den Nichtwählern (Wahlbeteiligung 50,13 Prozent).

Warum ist die schweigende Mehrheit so wichtig? Es gibt mehrere Gründe, warum Menschen nicht wählen. Eine nicht unwesentliche Ursache ist immer wieder zu hören: „Weil das ohnehin nichts bringt. Die da oben machen doch eh, was sie wollen“, heißt es nicht nur an Stammtischen.

Genau dieses Potenzial an Unzufriedenen gilt es zu überzeugen, dass eine bürgernahe Politik funktionieren kann. Aber nur gemeinsam.

Diese Baustelle wird auch Roland Kappes zu beackern haben. Mit seiner unbürokratischen und unorthodoxen Art kann ihm das gelingen.

Alle für Nauheim

Damit nicht genug. Die Gruppe der Unzufriedenen bzw. Enttäuschten plus alle Kappes-Wähler sind jetzt selbst herausgefordert. Roland Kappes hat von Anfang an verdeutlicht, dass er als „Nauheimer in Nauheim für Nauheim“ antritt, die Leute mitnehmen will und sie braucht. Er baut darauf, dass sie ihn nicht im Regen stehen lassen, wenn er selbst anpackt.

Jetzt können, nein, jetzt müssen all die zeigen, die immer nur meckern, dass sie bereit sind, etwas für ihre Gemeinde zu tun. Größer war ihre Chance noch nie.

Die neue Konstellation ist zweifellos ein herausforderndes Experiment – nicht nur für den neuen Bürgermeister, seine Stellvertreterin und 31 Gemeindevertreter.
Sondern für alle (!) in Nauheim.

 


 

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